Das B&O Parkgelände auf dem Weg zur Nullenergiestadt

March 6, 2024
Autor/in:
Madita Harnisch

Die Transformation des B&O-Parkgeländes in Bad Aibling zur Nullenergiestadt mit innovativen Quartierskonzepten, erneuerbaren Energien und der ästhetischen Heizikone setzt neue Maßstäbe. Das B&O-Parkgelände ist ein inspirierender Wegweiser für nachhaltige Stadtentwicklung und CO₂-neutrale Energieversorgung.

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Die Konversion von ehemaligen Militärbrachen zu nachhaltigen Stadtgebieten präsentiert sich als anspruchsvolle Aufgabe, die das B&O-Parkgelände in Bad Aibling mit innovativen Strategien und einer umfassenden Vision erfolgreich bewältigt hat. Das Modellvorhaben wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie im Rahmen des Förderkonzeptes EnEff:Stadt unterstützt, um das gesamte Areal in eine Nullenergiestadt zu transformieren.


Die Umsetzung erstreckte sich von Dezember 2008 bis März 2010 und erfolgte in Kooperation mit verschiedenen Partnern unter der Leitung der B&O Wohnungswirtschaft.

Weitere Beteiligte waren der Projektträger Jülich, das Büro RK-Stuttgart, die GEF Ingenieur AG, die Firma PEWO / EnWerk, die Firma Huber+Sohn, das Ingenieurbüro Molz und die Hochschule Rosenheim verschiedene Expertisen und Dienstleistungen in den Bereichen Energieeffizienz, Fernwärme, Holzfassaden, Wasserkraft, und Baukonzeption einbrachten.



Welche Vision steckt hinter der Nullenergiestadt von B&O?


Die Entscheidung von B&O, das B&O-Parkgelände in Bad Aibling als energieoptimierte Nullenergiestadt zu entwickeln, basiert auf einer Vielzahl von Überlegungen. In den 90er Jahren wurden aufgrund veränderter geopolitischer Gegebenheiten zahlreiche Militärareale in Deutschland zivil genutzt. Diese Areale sowie Industriebrachen der Schwerindustrie und großflächige Produktionsstandorte bieten enorme Entwicklungspotenziale. Laut dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung gab es im Jahr 2001 etwa 568.000 Hektar Brachflächen in Deutschland, was etwa 13 % der gesamten Verkehrs- und Siedlungsfläche entspricht. Ein Großteil davon sind Militärflächen, wovon sich rund ein Viertel in innerstädtischen Lagen befindet. Häufig werden diese Flächen von Gemeinden optimiert und für gewerbliche Nutzung vermarktet, wobei energetische Gesichtspunkte oft vernachlässigt werden.

Das B&O Parkgelände in Bad Aibling bot die Gelegenheit, eine energieoptimierte Nullenergiestadt als wegweisendes Projekt umzusetzen. Die Strahlkraft dieses Vorhabens erstreckte sich über Militär-, Industrie- und Infrastrukturbrachen hinaus und kann als Vorbild für Quartiere dienen, in denen verschiedene Nutzungen durch Nahwärmekopplung Synergieeffekte erzielen. Angesichts der Tatsache, dass Brachflächen mehr als 10 % der gesamten Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland ausmachen, und dass die sofort nutzbare Militärbrache in Deutschland etwa 750 Mal größer ist als das B&O Parkgelände in Bad Aibling, wird das immense Multiplikationspotenzial dieses Projekts deutlich.

Die verstärkte Entwicklung solcher Flächen ist besonders interessant und politisch erwünscht, da Deutschland den Naturverbrauch von 117 Hektar pro Tag auf das Ziel von 30 Hektar pro Tag bis 2030 reduzieren möchte. Eine verstärkte Nutzung von Industrie- und Militärbrachen wird somit zu einer nachhaltigen Lösung, um dieses Ziel zu erreichen. Das B&O Parkgelände in Bad Aibling wird somit nicht nur zur Optimierung von Gewerbesteuern genutzt, sondern auch als wegweisendes Beispiel für eine nachhaltige und energieeffiziente Stadtentwicklung.

Die Herausforderung der Arealwandlung

Das ehemalige B&O-Parkgelände, zuvor von der U.S. Army genutzt, erstreckt sich über 70 Hektar und bot die Gelegenheit, eine energieoptimierte Nullenergiestadt zu schaffen. Die Herausforderung bestand nicht nur in der städtebaulichen Neugestaltung, sondern auch in der energetischen Modernisierung von Gebäuden aus den 1930er Jahren. 

Gebäudestruktur und Sanierungskonzepte

Aus der Erfahrung im Rückbau in Ostdeutschland und mit Brachflächen in Gesamtdeutschland hat B&O den Fokus auf ein Quartierskonzept gelegt, das die Nutzung, Sanierung und Energieversorgung umfasst.

Die Gebäudestrukturen des B&O-Parkgeländes stammen größtenteils aus den 1930er Jahren und erforderten in Bezug auf energetische Standards erhebliche Modernisierung des vorhandenen Kessels. Das Modellvorhaben testet verschiedene Sanierungsstandards und -technologien, von unterschiedlichen Dämmstärken bis hin zu vorgefertigten Fassaden mit integrierter Heiz- und Lüftungswirkung. Ziel ist es, Erfahrungen zu sammeln und optimale Lösungen zu identifizieren.

Auch die äußere Gestaltung der Bestandsgebäude erlebte eine Transformation, von einem kasernenartigen Erscheinungsbild zu einer aufgelockerten, farbenfrohen und grünen Umgebung. Die Umgestaltung der Außenanlagen von doppeltem Stacheldraht zu Militärzeiten zu begrünten Fassaden verbesserte nicht nur das Erscheinungsbild, sondern erhöhte auch die Lebensqualität.

Ganzheitliches Wärmekonzept

Ein zentraler Aspekt der Nullenergiestadt ist das umfassende Wärmekonzept, das auf erneuerbaren Energien basiert. Solarthermie, Photovoltaik und das Blockheizkraftwerk aus regenerativen Quellen schaffen eine nachhaltige Energieversorgung. Die Nutzung von Nahwärmenetzen und intelligenter Regelungs- und Messtechnik strebt eine effiziente Energieverteilung an.

Martina Klingele, damalige Forschungsleiterin B&O Wohnungswirtschaft, bezeichnet die ständige Anpassung der nachhaltigen Wärmeversorgung an den kontinuierlichen Ausbau des Areals als ihre größte Herausforderung in diesem Projekt.

“Dem Areal wurde  ja nicht umsonst der Titel ‘Nullenergiestadt’ gegeben. Zur Erreichung des damit formulierten Ziels wurde zu Beginn ein hochkomplexes Wärmeversorgungssystem errichtet, welches sowohl dezentrale regenerative Wärmeerzeuger als auch jahreszeitlich unterschiedliche Betriebsarten (sommerliches Kaltnetz, Übergangsbetrieb mit unterstützenden Wärmepumpen für die Warmwasserbereitung) enthält”, so Klingele.

Ein solches System immer wieder an neue Wärmeabnehmer:innen mit sehr unterschiedlichen Anforderungen anzupassen, sei aufwändig und war überhaupt nur leistbar, weil im Rahmen des EnEff-Stadt-Forschungsprojekts ein sehr umfangreiches Energie-Monitoring durchgeführt wurde, berichtet sie weiter.

Technologische Innovationen und Forschungsbedarf

Das Modellprojekt B&O-Park in Bad Aibling präsentiert sich als zukunftsweisendes Beispiel für technologische Innovationen im Bereich nachhaltiger Energieversorgung und -nutzung. Die Kombination verschiedener erneuerbarer Energien ermöglicht eine exergetisch optimierte Betriebsweise mit abgesenkten Netztemperaturen und intensiver Solarnutzung. Exergetisch, die Exergetik betreffend, bezieht sich auf die Analyse und Optimierung von Energieflüssen, um die Effizienz von Energieumwandlungsprozessen durch die Berücksichtigung der Qualität und Verfügbarkeit von Energie zu verbessern.

Die dezentrale Einspeisung von Niedertemperaturwärme in Nah- und Fernwärmenetze bezieht sich darauf, dass Wärmeenergie mit niedrigen Temperaturen von verschiedenen lokalen Quellen in ein Netzwerk eingespeist wird. Diese Methode wird als zukunftsweisend angesehen, da sie eine effiziente und nachhaltige Energieverteilung ermöglicht, indem sie erneuerbare Energiequellen in unmittelbarer Nähe der Verbraucher:innen einbindet. Dies fördert eine dezentrale, umweltfreundliche Wärmeversorgung und trägt zur Reduzierung von Transportverlusten bei.

Ein Beispiel für die dezentrale Einspeisung von Niedertemperaturwärme ist die Nutzung von solarthermischen Anlagen auf Hausdächern, um Wärmeenergie zu erzeugen. Diese erzeugte Wärme kann dann direkt in das lokale Nahwärmenetz eingespeist werden, das mehrere Gebäude in der Nähe versorgt. Durch diese direkte Nutzung vor Ort wird die Effizienz gesteigert und der Bedarf an zentralen, ferngelegenen Heizkraftwerken verringert.

Das B&O-Park-Projekt in Bad Aibling zeigt, dass es in der Entwicklung von innovativen Wärmeversorgungskonzepten und der Integration erneuerbarer Energien enorme Fortschritte erzielt hat. Besonders hervorzuheben ist die Kombination aus einer Biomasseheizanlage, dezentralen solarthermischen Einspeisungen und netzgespeisten Wärmepumpen, die zu einer exergetisch optimierten Betriebsweise führt. Diese fortschrittliche Technologie bietet eine vielversprechende Lösung für größere Quartiere und Stadtteile.

Das Modellprojekt hat gezeigt, dass die dezentrale Einspeisung von Niedertemperaturwärme in Nah- und Fernwärmenetze mittel- und langfristig eine bedeutende Rolle bei der Umstellung von fossilen Energieträgern spielt. Allerdings unterstreicht das Projekt auch den erheblichen Forschungs- und Entwicklungsbedarf, insbesondere bei der Umsetzung großer und komplexer Netzstrukturen. Obwohl das B&O-Park-Projekt einen vielversprechenden Weg aufzeigt, sind weitere Untersuchungen, Planungen und Entwicklungsarbeiten, besonders im Einsatz von Smart Metering und Nutzerführung notwendig, um optimale Projektergebnisse zu gewährleisten.

Die Erfahrungen aus dem EnEff:Stadt-Modellprojekt Bad Aibling sind wertvoll und bieten einen klaren Maßstab für die Übertragbarkeit in reale Stadtquartiere. Trotz des bisherigen Erfolgs sind die zu bewältigenden Herausforderungen komplexer als zunächst angenommen. Die Durchführung von weiteren Untersuchungen, Planungs- und Entwicklungsarbeiten sowie eine sorgfältige Betriebsoptimierung sind entscheidend. Zusätzliche Vorhaben, wie Monitoring, Netzoptimierung und möglicherweise Maßnahmen zur Bedarfsseite und zum Gesamtsystem, sind in Erwägung zu ziehen, um offene Fragestellungen zu klären und die Effizienz weiter zu steigern.


Zukunftsfähige Wärmeversorgung

In der Phase der Planung der Nullenergiestadt sah sich B&O mit der Herausforderung konfrontiert, eine unabhängige Wärmeversorgung für das gesamte Quartier sicherzustellen. Dabei erkannten sie die Notwendigkeit eines eigenen Kraftwerks, insbesondere eines leistungsfähigen Blockheizkraftwerks (BHK), um ausreichend Energie für das gesamte Areal zu erzeugen. Diese Entscheidung führte zur Entwicklung der Heizikone als Herzstück des nachhaltigen Wärmeversorgungskonzepts auf dem B&O-Parkgelände.

Die Heizikone präsentiert sich als wegweisende Lösung für die Wärmeversorgung von Kommunen und Wohnungswirtschaft. Unter dem Leitsatz "Triple ZeroPrinzip" – ZERO CO₂, ZERO KM, ZERO WASTE – setzt sie auf CO₂-neutrale Verbrennung, reduziert Transportwege und umweltneutrale Verbrennung ohne Rückstandsbildung.

Die Heizikone auf dem B&O Parkgelände in Bad Aibling

Die Heizikone auf dem B&O Parkgelände in Bad Aibling vereint höchste technologische Ansprüche mit einer ästhetisch ansprechenden Form. Als Symbol für erneuerbare Energie in ihrer schönsten Form setzt sie Maßstäbe für nachhaltige Wärmeversorgung und zeigt, wie innovative Technologien mit architektonischer Eleganz verschmelzen können.

Designer Matteo Thun hat mit der Heizikone eine architektonische Meisterleistung geschaffen, die nicht nur technisch beeindruckt, sondern auch ästhetisch an eine Kirche oder einen Monumentalbau erinnert. Inspiriert von der St. Veit Kapelle in Südtirol, zeichnet sich die Fassade der Heizikone durch dicht angeordnete Lärchenholzschindeln aus. Diese äußere Gestaltung macht das Gebäude nicht nur funktional, sondern auch zu einem echten Blickfang.

Technische Daten und Bauweise der Heizikone

Die Heizikone basiert auf der Holzständerbauweise und erstreckt sich über kompakte Abmessungen von 8 x 8 Metern. Die Oberfläche besteht aus Lärchenschindeln und setzt damit das Thema Biomasse wirkungsvoll um. Das Tor und die Front sind aus brüniertem Kupfer gefertigt, während der Sockel mit Nagelfluh verkleidet ist. Die technologisch imposante Heizikone verzeichnet eine Höhe von 13,5 Metern. 

Technologie im Dienste der Umwelt

Der Biomassekessel der Heizikone, mit einer Leistung von bis zu 500 Kilowatt, nutzt technisch getrocknete Holzhackschnitzel – als Brennstoff. Dieses Material wird aus Waldrestholz der Region gewonnen und gewährleistet eine nachhaltige Energieversorgung. Die Wärme gelangt über ein Nahwärmenetz in die Gebäude des B&O Parkgeländes.

Umweltfreundliche Aspekte der Heizikone

Das Logistikkonzept der Heizikone  besteht aus Schubboden-Wechselcontainer und Pelletspeicher und reduziert den Lieferaufwand. Die Verwendung von flokets® als Brennstoff bietet nicht nur einen höheren Heizwert, sondern minimiert auch Emissionen, Ruß und Asche. Dies trägt wesentlich zur Schonung von Wald und Umwelt bei.

Zukünftige Perspektiven und Potenziale

Das B&O-Parkgelände in Bad Aibling steht nicht nur exemplarisch für eine Nullenergiestadt, sondern dient auch als Wegweiser für die Entwicklung von anderen Militär-, Industrie- und Infrastrukturbrachen.  Die Konversion solcher Areale ist für die Schaffung nachhaltiger städtischer Strukturen von großer Bedeutung.

Die Beteiligten des Projekts zeigen, dass Konversion nicht nur eine bautechnische Herausforderung ist, sondern auch eine gesellschaftliche Verantwortung, die durch innovative Ansätze und multidisziplinäre Zusammenarbeit erfolgreich bewältigt werden kann. Das B&O-Parkgelände in Bad Aibling setzt somit nicht nur auf den Weg in die Zukunft, sondern auch einen inspirierenden Standard für nachhaltige Stadtentwicklung.

“Ich finde es auch im Nachhinein toll, dass dieses Gelände eine Art große Spielwiese für innovative Bauideen ist. Auf dem Gelände wurde einerseits durchaus versucht, Bestand zu erhalten, andererseits aber unglaublich viele Neuentwicklungen insbesondere im Bereich der Vorfertigung und der Verwendung von Holz als Baustoff in reiner oder hybrider Form ausprobiert. Somit konnten auch Forschungsergebnisse gewonnen werden. Dies spiegelt sich ja auch in der Beteiligung verschiedener Hochschulen wider”, erzählt Martina Klingele.

Fazit:

Die nachhaltige Transformation des B&O-Parkgeländes in Bad Aibling zu einer Nullenergiestadt ist ein wegweisendes Modellprojekt, das zeigt, wie durch innovative Konzepte und ganzheitliche Ansätze ehemalige Militärbrachen zu lebendigen, energieeffizienten Stadtgebieten werden können. Mit dem Fokus auf Quartierskonzepte, Sanierung und erneuerbare Energiequellen präsentiert sich das B&O-Parkgelände als Vorreiter für nachhaltige Stadtentwicklung.

Durch die Integration von Technologie, wie der Heizikone, setzt das Gelände neue Standards für ästhetische Nachhaltigkeit und technologische Effizienz. Die Verwendung erneuerbarer Energien, das ganzheitliche Wärmekonzept und das innovative Logistikkonzept der Heizikone demonstrieren, wie umweltfreundliche Energieversorgung und städtische Ästhetik harmonisch verschmelzen können.

Das B&O-Parkgelände bietet nicht nur eine Blaupause für die Konversion von Militär-, Industrie- und Infrastrukturbrachen, sondern stellt auch eine inspirierende Vision für zukünftige nachhaltige Stadtentwicklung dar. Mit überzeugenden Ergebnissen und einem klaren Bekenntnis zum "Triple ZeroPrinzip" setzt Bad Aibling einen Maßstab für CO₂-neutrale Verbrennung, reduzierte Transportwege und umweltneutrale Energieversorgung ohne Rückstandsbildung.

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