Deutschlands Brücken wackeln – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Wir beleuchten den aktuellen Stand und mögliche Herangehensweisen.
August 31, 2025
„Deutschlands Brücken sind marode. Das betrifft Tausende. Wir müssen jetzt handeln!“ – Mit diesen Worten lässt sich die aktuelle Lage im Brückenbau wohl am besten zusammenfassen.
Der jüngste Beweis: Ein Riss an der Ringbahnbrücke A100 in Berlin. Anfangs klein und unscheinbar, führte er im April 2025 zu einem Abriss im Rekordtempo. Die Auswirkungen auf den Verkehr in der Hauptstadt sind enorm – und der Fall reiht sich ein in eine Liste alarmierender Ereignisse, zuletzt an der Carolabrücke in Dresden.
Die bange Frage lautet: Welche Brücke ist als Nächstes dran?
Dieses Ereignis rückt ein strukturelles Problem in den Fokus: den Zustand der deutschen Infrastruktur, insbesondere unserer Straßen- und Bahnbrücken. Um gegenzusteuern, hat die Bundesregierung das Investitionsprogramm „Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität“ beschlossen – eines der größten Sanierungsprogramme für Brücken in Deutschland.
Mit 500 Milliarden Euro zusätzlich zum Kernhaushalt soll die Modernisierung des Landes vorangetrieben werden.
Um zu verstehen, wie es zum Versagen der Ringbahnbrücke kam, lohnt sich ein Blick auf das Autobahndreieck Funkturm in Berlin. Tobias Meurer, Head of Technical Infrastructure Frankfurt - Rhein - Main von Drees & Sommer erklärt:
„Bereits 2018/2019 war klar, dass viele Bauwerke nur eingeschränkt nutzbar sind oder es bald sein werden.“
Die Ringbahnbrücke stammt aus den 1960er-Jahren – einer Zeit, in der der heutige Verkehr nicht vorhersehbar war. Heute treffen hier die A100 und A115 zusammen, einer der am stärksten befahrenen Straßenabschnitte Deutschlands mit rund 200.000 Fahrzeugen pro Tag. Die Verkehrsbelastung liegt beim Zehnfachen der ursprünglichen Planung.
Das Gebiet umfasst nur zwei Kilometer, beherbergt aber 25 Brücken – viele davon in kritischem Zustand. Schon vor vier Jahren wurden Baukosten von rund 400 Millionen Euro für die Sanierung kalkuliert. Doch wie bei vielen Großprojekten im Brückenbau überholte die Realität die Planung.
Deutschland verfügt über rund 39.000 Brücken im Bundesfernstraßennetz. Mehr als 8.000 gelten als sanierungsbedürftig. Hinzu kommen etwa 3.000 marode Brücken an Bundesstraßen und über 1.100 Bahnbrücken, die instandgesetzt oder ersetzt werden müssen. Jede zweite kommunale Straßenbrücke wird als marode eingestuft.
Eine gesperrte Brücke bedeutet nicht nur Verkehrsbehinderungen und Staus, sondern auch wirtschaftliche Schäden. Das zeigt das Beispiel Rahmede-Talbrücke: Seit der Sperrung 2021 und Sprengung 2023 rollt der Verkehr mitten durch Lüdenscheid. Die Folge sind Dauerstau, Lärmbelastung, erhöhte Feinstaubwerte und wirtschaftliche Verluste von mindestens 1,8 Milliarden Euro innerhalb von fünf Jahren.
"Viele Brücken wurden in den 1960er- und 1970er-Jahren gebaut – für eine Nutzungsdauer von 70 bis 100 Jahren",
sagt Christian Ganz, Senior Brückenexperte bei Drees & Sommer.
"Die heutigen Verkehrsfrequenzen und Lasten übersteigen diese Planungsgrundlagen deutlich. Ein flächendeckender Neubau ist weder finanziell noch personell realistisch. Die nachhaltige Lösung: strukturiertes Erhaltungsmanagement."
Auch wenn der Fokus auf Brücken liegt, zeigt der Riederwaldtunnel in Frankfurt exemplarisch, wie moderne Infrastrukturprojekte umgesetzt werden. Das größte innerstädtische Bauprojekt der Autobahn GmbH in Hessen verbindet die A66 mit der A661 und integriert mehrere neue Brückenbauwerke, Grünflächen, Geh- und Radwege.
Mit einer Länge von 2,2 Kilometern, davon 1,1 Kilometer im Tunnel, soll das Projekt die Verkehrsdichte im Stadtteil Riederwald um 36 % reduzieren – eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität.
Ein zentrales Werkzeug für die Brückensanierung in Deutschland ist die Digitalisierung. Drees & Sommer setzt ein Bedarfsprognose-Tool für Ingenieurbauwerke ein, das Bauwerksdaten analysiert und gezielte Handlungsempfehlungen liefert – von Sanierung bis Abriss.
Beispiel: In Nürnberg wurden über 300 Brücken so untersucht und priorisiert. Parallel entwickelt das Unternehmen im Forschungsprojekt HyBridGen einen KI-Brückengenerator, der aus Trassen- und Geodaten plausible Entwürfe generiert. So lassen sich Planung und Genehmigung von Brückenbauwerken beschleunigen und Ressourcen sparen.
Das Beispiel Nürnberg zeigt: Frühzeitige Analyse und Priorisierung sind entscheidend, um Sperrungen und Einstürze zu verhindern. Städte und Kommunen müssen ihre Brückenbestände jetzt erfassen, bewerten und Sanierungen strategisch planen.
Der Abriss der Ringbahnbrücke A100 ist ein Weckruf. Mit dem 500-Milliarden-Euro-Sondervermögen und moderner Technologie gibt es die Chance, die Infrastruktur in Deutschland nachhaltig zu sichern. Doch diese Chance muss jetzt genutzt werden – bevor die nächste Brücke fällt.
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