Tokio - Eine Megacity der Superlative. 40 Millionen Menschen leben hier. Es ist die größte Metropolregion der Welt und wirtschaftliches Zentrum Japans. Doch hinter der schillernden Fassade verbirgt sich eine ständige Bedrohung. Mehr dazu hier!
April 6, 2025
Um zu verstehen, warum Tokio so bedroht ist, muss man sich zunächst einmal seine geografische Lage genauer ansehen. Tokio liegt nämlich auf einer tickenden Zeitbombe, hier treffen gleich vier tektonische Platten aufeinander. Dies führt dazu, dass 18 Prozent aller weltweiten Erdbeben sich in Japan ereignen.
Als bislang schwerstes Erdbeben in Japan mit einer Stärke von 9,0 auf der Richtskala gilt das Tōhoku-Beben vom 11. März 2011. Dieses Erdbeben löste zusätzlich einen 10 Meter hohen Tsunami aus, der unter anderem ein Atomkraftwerk beschädigte, oft als Katastrophe von Fukushima bezeichnet. Zum Vergleich, das stärkste jemals aufgezeichnete Erdbeben hatte eine Stärke von 9,5 und ereignete sich 1960 in Chile. Das schwerste Erdbeben in Tokio ereignete sich 1923. Damals zerstörte das Große Konto-Erdbeben fast die gesamte Stadt.
Doch nicht nur Erdbeben bedrohen die Megametropole. Tokio wird regelmäßig von Taifunen heimgesucht, Überschwemmungen setzen die Stadt unter Wasser. Und dann gibt es noch den Fuji, einen der aktivsten Vulkane Japans.
Scheint so, als wäre Tokio nicht nur eine der größten, sondern auch eine der gefährlichsten Städte der Welt.
Es ist jetzt nicht so, dass hier jede Woche ein starkes Erdbeben stattfindet. Wenn es vorkommt ist es meistens so, dass es einen nur leicht schüttelt.
Tobias Lang - aka Mr. Nippon (YouTuber, wohnt seit 6 Jahren in Tokio)
Dass man als Einwohner Tokios vielleicht nicht so viel von diesen Gefahren mitbekommt, ist sicherlich auch der guten Arbeit der Ingenieure und Baufachleute zu verdanken. Denn die Stadt hat das Tokyo Resilience Project, kurz TRP ins Leben gerufen.
Das TRP ist ein 100 Milliarden Dollar schweres Mammutprojekt, das Tokio für die nächsten hundert Jahre widerstandsfähig gegenüber Naturkatastrophen machen soll.
Ganz Japan hat mit immer stärker werdenden Regengüssen, dem steigenden Meeresspiegel und Überschwemmungen zu kämpfen, denn, ein Fünftel der Metropolregion liegt unter dem Meeresspiegel. Im Zuge des Klimawandels werden diese Ereignisse immer häufiger und auch immer heftiger.
Doch im Rahmen des Tokyo Resilience Projects hat sich hier einiges getan. Neue Wasserumleitungskanäle, verbreiterte Flüsse, und erhöhte Seemauern – die Stadt ist bereit. Selbst Grünflächen, Parks und Radwege werden geschickt genutzt, um überschüssiges Wasser aufzufangen.
Bestandteil dieses Projektes sind auch die sogenannten G-Cans, eines der größten und beeindruckendsten Hochwasserschutzsysteme der Welt. Sie befinden sich nordöstlich von Tokio, in der Präfektur Saitama.
Das System besteht aus fünf riesigen Silos, die jeweils 32 Meter hoch und 31 Meter breit sind, sowie einem 6,3 Kilometer langen Tunnel. Diese Silos sind miteinander verbunden und leiten überschüssiges Wasser bei starken Regenfällen oder Taifunen ab.
Die bekannteste Struktur ist die Hauptkammer, sie wird oft als "Kathedrale der Kanalisation" bezeichnet. Diese riesige unterirdische Halle ist 177 Meter lang, 78 Meter breit und 25 Meter hoch. Sie dient als Sammelbecken für überschüssiges Wasser, das anschließend in den Edo-Fluss abgeleitet wird.
Im Rahmen des Tokyo Resilience Projects soll die Kapazität des G-Cans Systems nun noch verdoppelt werden. Wenn das gesamte Projekt abgeschlossen ist, kann es etwa 1,43 Millionen Kubikmeter Wasser speichern.
Unter der Verantwortung des Tokyo Metropolitan Government wird insgesamt ca. 10 Jahre an den neuen Tunneln gebaut. Ursprünglich war der Plan zur Bauzeit etwas kürzer, doch es ergaben sich einige Probleme beim Graben des Tunnels unter der Erde.
Zum Bohren der Tunnel wird eine gigantische Tunnelbohrmaschine eingesetzt. Diese schiebt sich ganz langsam Millimeter für Millimeter voran und höhlt den Tunnel aus. Diese arbeitet in 40 Metern Tiefe und ist etwa 13 Meter lang. Ihre zylindrische Spitze mit einem Durchmesser von ca. 13 Metern trägt rund 900 klingenartige Schneidwerkzeuge. Durch Drehung der Spitze in einer kreisförmigen Bewegung gräbt sie sich in den Boden. Massive Stahlelemente werden zur Unterstützung genutzt, um später einmal die Wände des Tunnels zu betonieren. Und so entsteht Stück für Stück ein 6 km langer Tunnel.
Eine der größten Herausforderungen beim Bau der neuen Tunnel hängt mit der Lage zusammen. Der Tunnelbau erfolgt in der dicht besiedelten Großstadt Tokio, teils unter einer stark befahrenen Hauptstraße. Dies erfordert intensive Abstimmungen und strenge Sicherheitsvorkehrungen, um Bodensenkungen oder -hebungen zu vermeiden.
Dazu kommt, dass die Baustelle umgeben ist von Wohnhäusern und die Arbeiten Lärm und Vibrationen verursachen. Um die Anwohner einzubinden, finden regelmäßig Informationsveranstaltungen statt.
Damit sind die G-Cans sind nicht nur ein beeindruckendes technisches Wunderwerk, sondern auch ein Lebensretter für die Millionen von Menschen, die in Tokio und den umliegenden Gebieten leben. Sie bieten Schutz für ein Gebiet, das von starken Regenfällen und einem Netz aus über 100 Flüssen geprägt ist.
Doch Wasser ist nicht die einzige Bedrohung der Stadt Tokyo. Wie bereits erwähnt, hat Tokio ein echtes Erdbebenproblem. Es ist also extrem wichtig, dass die Gebäude der Stadt den Erschütterungen standhalten.
Umso beeindruckender ist es, dass in Tokio der höchste frei stehende Funkturm der Welt steht – der Tokyo Skytree. Der Tokyo Skytree ist 634 Meter hoch und verfügt über ein ausgeklügeltes Design- und Konstruktionsprinzip. Testsimulationen haben ergeben, dass der Sky Tree auch ein schweres Erdbeben der Stärke 7,9 in einer Entfernung von 100 km fast unbeschadet überstehen würde.
Der Skytree nutzt ein einzigartiges vibrationsdämpfendes System, inspiriert von traditionellen japanischen Pagoden. Im Inneren des Turms befindet sich eine zentrale Betonsäule, die unabhängig von der Außenstruktur schwingt.
Diese "Shinbashira-Seishin"-Technologie (übersetzt: "zentrale Mast-Schwingungssteuerung") dämpft die durch Erdbeben verursachten Erschütterungen. Die zentrale Kernsäule aus Beton fungiert in diesem Fall wie ein Gegengewicht, das die Bewegung des Turms ausgleicht. Durch den Einsatz dieses Shinbashiras kann die Erschütterungen des Turms um bis zu 50 % reduziert werden.
Der Mechanismus ähnelt in der Form einer Wirbelsäule und basiert auf einem Prinzip, das seit Jahrhunderten in traditionellen japanischen Holzpagoden verwendet wird. Dank dieses Mechanismus haben einige der ältesten Pagoden seit über 1.300 Jahren ohne Einsturz überlebt. Zusätzlich wurde das System durch den „Tuned Mass Damper“, einen vor rund 140 Jahren in England entwickelten Schwingungsdämpfer, inspiriert.
Atsuo Konishi, Structural Engineer, Nikken Seikkei LTD
Der Skytree verwendet Ölstoßdämpfer, um die Bewegung der Kernsäule zu unterdrücken, damit diese nicht zu groß wird. Dies schützt nicht nur die Struktur, sondern sorgt auch dafür, dass sich die Besucher in den oberen Etagen sicher fühlen.
Die Betonsäule ist flexibel auf stahlverstärkten Gummi gelagert. Dieses Gummi muss alle 100 Jahre ausgetauscht werden. Dafür kommen spezielle Vorrichtungen zum Einsatz, die mit der Struktur eines Wagenhebers vergleichbar sind.
Der Entwurf des Skytree dauerte etwa vier; der Bau etwa dreieinhalb Jahre. Viele der Skytree-Komponenten wurden in einer Fabrik hergestellt und dann vor Ort montiert. Dadurch konnten wir viel genauer und zuverlässiger bauen.
In Japan treten jeden Sommer starke Taifune auf. Diese stellen für hohe Bauwerke eine noch größere Herausforderung dar. Deshalb musste der Skytree eine maschenartige Struktur, ohne Glas oder Außenwände, erhalten. Der Wind kann quasi hindurchwehen.
Seine Form – eine Mischung aus unten dreieckig und nach oben hin kreisförmig zulaufend, ist zudem eine Reaktion auf die zunehmenden Windgeschwindigkeiten in der Höhe. Nach einer ähnlichen Bauweise sind übrigens auch Bauwerke wie der Burj Khalifa und der gerade entstehende Jeddah Tower konstruiert.
Auch wenn der Turm vor allem eine der Touristenattraktionen der Stadt ist, dient er auch als Fernsehsendemast. Er hilft dabei, den Empfang in Tokio und den umliegenden Gebieten zu verbessern. Seine strategische Funktion macht ihn auch bei Notfällen unverzichtbar.
Wie vieles in Japan wird auch der Höhe des Turms eine besondere Symbolik zugeschrieben. Die Zahl "634" also die Höhe des Turms in Metern - wird im Japanischen als "Mu-sa-shi" ausgesprochen. So wird auch das historische Gebiet bezeichnet, das die heutige Präfektur Tokio umfasst. Dies stärkt die kulturelle Verbindung des Turms zur Region.
Ein auffälliger Unterschied zwischen der japanischen und der europäischen Bauweise liegt in der Raumstruktur und der Nutzung von Licht und Materialien. In Japan beginnt man häufig mit einer großen Öffnung – der gesamte Raum ist von Anfang an offen gestaltet und mit Fenstern versehen.
In europäischen Ländern beginnt man die Planung und auch den Bau eines Gebäudes mit einer Mauer und lässt dann gezielt eine Öffnung, um den Raum bewohnbar zu machen. In Japan hingegen beginnt man mit den tragenden Pfeilern, diese sind meistens aus Holz. Erst dann kommt die Wand – oder besser gesagt, es gibt zunächst gar keine Wand, weil es schwierig ist, eine Wand komplett aus Holz zu bauen.
Seng Chye Koek, President Schueco Japan
Diese offene Bauweise erfordert eine leichte Struktur, weshalb man in Japan oft sogenannte Shoji sieht: Schiebetüren mit Papierbespannung, die als flexible Wände dienen. Sie sind leicht, lassen Licht durch und ermöglichen eine flexible Raumaufteilung – deshalb sind sie nahezu überall zu finden. Auch die Fenster in japanischen Häusern sind in der Regel Schiebefenster, was sich deutlich von der europäischen Bauweise unterscheidet, wo Fenster meist zum Öffnen geklappt oder gekippt werden. Dieser Unterschied in der Gestaltung fällt besonders auf, wenn man von Japan nach Deutschland oder in andere europäische Länder reist.
Die Unterschiede in der Architektur haben jedoch nicht nur kulturelle, sondern auch strukturelle Gründe – insbesondere im Hinblick auf Naturkatastrophen. In Japan müssen Gebäude häufig Erschütterungen durch Erdbeben standhalten. Deshalb sind viele Bauten so konstruiert, dass sie Schwingungen absorbieren können, auch wenn diese zunächst nur gering erscheinen. Mit der Zeit summieren sich solche Belastungen, weshalb die Leichtbauweise eine wichtige Rolle spielt.
Ein weiteres interessantes Beispiel zeigt sich im historischen Vergleich: In Europa galten Kirchen und Burgen lange Zeit als beeindruckendste Bauwerke. Diese zeichnen sich durch ihre Höhe und ihre vertikale Ausrichtung aus – viele aufstrebende Linien, die nicht zuletzt dazu dienten, Licht gezielt zu lenken und die Macht religiöser oder weltlicher Institutionen zu unterstreichen. In Japan hingegen dominiert die horizontale Architektur. Selbst Schlösser wirken oft flach und breit, und Schreine zeichnen sich durch eine starke horizontale Gliederung aus. Diese Bauweise spiegelt sich auch in der Wahl des Materials wider: Während in Europa Stein vorherrscht, sind japanische Gebäude traditionell aus Holz gefertigt, was wiederum zur Flexibilität und Leichtigkeit beiträgt.
Ob Überschwemmungen in Deutschland, Hitzewellen in Südeuropa oder Erdbeben in Italien – Tokio liefert eine mögliche Blaupause. Die Stadt Tokio ist ein Symbol dafür, dass wir uns den Naturgewalten nicht kampflos ergeben müssen. Doch Resilienz kommt nicht von allein. Sie erfordert kreative Planungen, Mut zur Umsetzung, eine Vision und natürlich Menschen, die das alles in die Tat umsetzen!
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