Systemveränderung mit Madaster: Kann so die Zukunft des Bauens aussehen?

Patrick Bergmann (Geschäftsführer von Madaster) und Michél-Philipp Maruhn (Host & Founder von DIGITALWERK)

Patrick Bergmann (Geschäftsführer von Madaster) und Michél-Philipp Maruhn (Host & Founder von DIGITALWERK)

Um den ökologischen Fußabdruck von Gebäuden zu messen, sammelt Madaster Daten über die darin verbauten Materialien und weist gleichzeitig auf, welche Produkte ressourcenschonend sind.

Das Leben ist ein Kreislauf. In der Natur dient alles dem Wachstum und dem Entstehen. Wie komplexe Zahnräder greifen die scheinbar unsichtbar gelenkten Systeme ineinander. Sie beeinflussen einander, sind voneinander abhängig. Demgegenüber bestimmen im 21. Jahrhundert Fortschritt und ungebremstes Wachstum das gesellschaftliche und politische Handeln. 

Doch wie passt der Wechsel von Wachstum, Zerfall und Erneuerung mit der industrialisierten und digitalisierten Welt von heute zusammen? Wie gelingt das Zusammenspiel von Natur und Innovation im Kontext nachhaltigen Handelns? Insbesondere der Bauwirtschaft steht in diesem Zusammenhang eine umfassende Transformation bevor. Damit eingesetzte Baumaterialien lange in hoher Qualität in einem Kreislauf-System genutzt werden können, ohne letztlich als Abfall zu enden, sind neue Ansätze nötig.

Große Hoffnungen werden hierbei in das Prinzip des „zirkularen Bauens“ gesetzt. Rohstoffe für Produkte und Gebäude sind demnach so zu planen und einzusetzen, dass sie entweder in gleichbleibender Qualität in einem technischen Kreislauf erhalten und wiedergenutzt werden können oder sie sind vollständig abbaubar und können damit in den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden. 

Hier setzt das Konzept von Madaster an. Das Unternehmen versteht sich als Kataster für Materialien und Produkte und hat sich auf die lückenlose Erfassung und Dokumentation von Bauteilen und Materialien fokussiert. Durch die Aufnahme jedes einzelnen Bauteils können Informationen über die Trennbarkeit, das gebundene CO2 und die Toxizität von Materialien und Produkten gewonnen werden. Darüber hinaus wird dargelegt, ob und welche Materialien wiederverwendet werden können. Madaster sieht in dem Konzept die Möglichkeit, die CO2-Emissionen auf dem Weg zur angestrebten Klimaneutralität drastisch zu reduzieren. Was nötig ist, um ein effizientes und hochwertiges Recycling oder sogar ein Reuse zu erzeugen, sind Daten.  

Ist Carbon der bessere Stahl?

Patrick Bergmann, Geschäftsführer von Madaster, hat das früh verstanden. Nachdem er in Konstanz am Bodensee Politik studierte, zog es ihn für den Master im Bereich Urban Environmental Management in die Niederlande. Die Themen Stadtentwicklung und Umwelt haben ihn so sehr umtrieben, dass er sich in seiner Doktorarbeit, die er anschließend an der Technischen Universität Dresden verfasste, der Bewertung nachhaltiger Gebäude widmete. Dabei kam er mit dem Material Carbon Beton in Berührung, eine Alternative zu dem in der Bauwirtschaft weltweit viel genutzten Stahlbeton.

Carbon-Beton ist ein nicht-metallischer Bau- und Verbundwerkstoff. Kohlenstofffasern ersetzen den Stahl. Stahl rostet. Damit die Feuchtigkeit den Stahl also nicht zerstört, muss dieser durch eine dicke Betonschicht bedeckt werden. Weil Carbon hingegen nicht rostet, reichen wenige Millimeter Beton-Überdeckung statt mehrerer Zentimeter. Darüber hinaus sind die Fasern wesentlich flexibler und Carbon deutlich leichter als Stahl. Im Zuge der Forschungen zu dem Thema stellten sich die Wissenschaftler also die Frage: Ist die Verwendung von Carbonfasern ökologisch und ökonomisch besser als die Verwendung von Stahlbeton? 

Auf der einen Seite wird Beton eingespart, auf der anderen ist die Herstellung der Carbonfasern sehr energieintensiv. Zusätzlich ist das Recycling unklar. Zudem ist Carbon um ein Vielfaches teurer als Stahl. Patrick Bergmann steckte seine Nase tief in das Baumaterial, um dessen Ökobilanz bewerten zu können und brauchte hierfür Produktdaten. Wie viel Energie wird für die Erzeugung der einzelnen Materialien benötigt? Wo kommen die einzelnen Materialien her? Wie lang sind die Transportwege? Wie hoch sind die Kosten? Im Fall des Carbon-Betons lautete sein Forschungsergebnis: Es kommt drauf an. In vielen Bereichen ist der klassische Stahlbeton aus ökonomisch, aber auch aus ökologischen Gründen weiter sinnvoll. 

Die Frage danach, wie in der Bauwirtschaft Ressourcen eingespart werden können, manifestierte sich in Patrick Bergmann Gedanken und er besann sich zurück auf die Idee der Kreislaufwirtschaft, mit deren Inhalten er in den Niederlanden in Berührung kam. 

Analog zu einem Liegenschaftskataster, das Informationen zu Grundstücken umfasst, war er am Aufbau eines stiftungsbasierten Materialkatasters beteiligt, an der Plattform Madaster. Finanziert wurde und wird das System zweierlei: Einerseits aus Forschungsgeldern, andererseits durch die sogenannten Kennedys.

 „Das sind Unternehmen, die mit Madaster arbeiten. Wir nennen sie Kennedys, weil sie ähnlich mutig und visionär denken wie John F. Kennedy in seiner Wir-fliegen-zum-Mond-Ansprache. Sie zahlen alle mehr als notwendig, um unsere Idee zu unterstützen.“

Im Gegenzug sind die Kennedys intensiv in die Weiterentwicklung der Plattform eingebunden. Da sie alle am Markt aktiv sind, können sie zurückspiegeln, was funktioniert und was nicht. Darunter sind Konzerne wie die Zech Group oder die HeidelbergCement AG.

Perspektivisch möchte Madaster mit einem klassischen Lizenzsystem arbeiten. Jeder, der die Plattform nutzt, zahlt einen Jahresbeitrag. Hersteller bekommen einen Account für 0 Euro, sofern sie ihre Daten mit der Community teilen. Wenn sie die Informationen jedoch nur für sich selbst oder Privatkunden hochladen, müssen sie einen Beitrag zahlen. Zielgruppe ist die Immobilienbranche inklusive Zulieferer. Die Plattform ist so konzipiert, dass auch Privatpersonen ihr Haus oder die Eigentumswohnung registrieren können. 

Warum braucht jedes Produkt einen Code?

Die Gründer von Madaster sind überzeugt, dass für Gebäude künftig nicht mehr nur Energieausweise, sondern auch Gebäudepässe ausgestellt werden, die Auskunft über die verbauten Materialien geben. In den Niederlanden sind in diesem Zusammenhang bereits erste digitale Datenräume für Immobilien begehbar. Für den Eintritt in den 3D-Datenraum ist lediglich eine Registrierung per Mail nötig. Hinterlegt sind Daten über die verbauten Materialien, zum Beispiel, woraus die Wände oder die Fußböden bestehen. Wer auf die Wand klickt, bekommt die entsprechenden Informationen angezeigt. Es besteht die Möglichkeit, auch Daten über die Hersteller zu hinterlegen, Tabellen oder Umweltproduktdeklaration.

Im Idealfall ist dem einzelnen Produkt ein Code zugeordnet. Der Code steht überall auf der Welt für dasselbe Produkt. Die Informationen über das Produkt sind dem Code hinterlegt. Das Produkt lässt sich also eindeutig identifizieren. Die Industrie kann auf diesem Weg ihre Produkte in ein Schaufenster stellen. 

Auch Immobilienkäufer, gerade im institutionellen Bereich, fordern zunehmend Transparenz. Kommt ein Kauf nur zustande, weil hinreichend Daten über die verbauten Materialien vorliegen, sind letztlich auch die Immobilienentwickler, Bauunternehmen und Hersteller daran interessiert, nur Produkte zu verwenden, für die Materialwerte vorliegen. 

In der Grundidee greift Madaster aber noch einen zweiten Aspekt auf: Die Verfügbarkeit von Rohstoffen. Insbesondere die Hersteller haben in Zeiten von Rohstoffknappheit ein großes Interesse daran, ihre Materialien zurückzubekommen. Wenn bekannt ist, wann ihre Produkte wo verbaut wurden, wird dieser Prozess vereinfacht. 

„Gips ist zum Beispiel ein Abfallprodukt der Kohleindustrie. Doch was passiert, wenn Kohlekraftwerke abgeschaltet werden? Da wir alles registriert haben, können wir bei einem Rück- oder Umbau auch den Hersteller nachvollziehen. Der Immobilieneigentümer kann dann Kontakt mit dem Hersteller aufnehmen.“

Madaster betrachtet jedes Gebäude als Rohstoff-Bank, bestehend aus mehreren Schichten: die Baukonstruktion, der Innenausbau, die technische Gebäudeausrüstung. Im Laufe des Lebenszyklus einer Immobilie, kommt es regelmäßig zum Austausch einzelner Materialien, nicht zuletzt, weil die technischen Anforderungen und die Anforderungen der Nutzerinnen und Nutzer komplexer werden. Auf diese Weise kommt immer wieder Material zusammen. 

Aufgrund des Stiftungskonzeptes verfolgt Madaster keine Profitmaximierungsabsichten. Steht in Deutschland ein Plus in der Bilanz, wird der Gewinn über die Stiftungen in die anderen Länder verteilt, die noch nicht so weit sind. Derzeit ist Madaster in sechs Ländern aktiv: In den Niederlanden, der Schweiz, Deutschland, Österreich, in Belgien und Norwegen. Das Kerngeschäft liegt in Europa. 

Die Umsetzung der Unternehmensziele des Material- und Produktkatasters gleicht einem Ultramarathon, wie Patrick Bergmann eingesteht. Für 2023 haben sich die Gründer vorgenommen, den Datentransfer zu optimieren. Im Idealfall können Schnittstellen bei den Herstellern geschaffen werden, die ein simples Hochladen und Verknüpfen der Produktstammdaten ermöglichen, ohne händisch jede einzelne Zeile mit Informationen füllen zu müssen. Der Optimierungsprozess ist zeitaufwendig, nicht zuletzt, weil jeder Hersteller mit anderen Dateiformaten arbeitet. 

Madaster greift auch auf bereits bestehende Datenbanken zu. Der Vorteil: Dort sind bereits durch Dritte geprüfte Daten hinterlegt. Das Unternehmen bewertet die Datenqualität und kategorisiert diese in verschiedene Level. So können die Nutzerinnen und Nutzer die Validität der Daten skalieren. Auch für die Finanzierung von Projekten ist dieses Prinzip interessant. 

„Erste Banken denken darüber nach, andere Kredite zu vergeben, wenn nachhaltiger und zirkulärer gebaut wurde. Die Bank will sichergehen, dass die Analyse stimmig ist. Dann verlangen sie, dass Dritte noch mal ein Auge darauf werfen.“

Patrick Bergmann sieht, dass die Immobilienbranche zunehmend Wert auf Datenerhebung setzt. Es werden mehr Daten gesammelt, aufbereitet und strukturiert. Dieser komplexe Prozess geht mit einem stetigen Aufbau an Wissen und Informationen einher. Standardisierte Daten, zum Beispiel darüber, wie viel CO2-Emissionen die Herstellung von einer Tonne Kalksandstein verursacht, seien bereits gut verfügbar. 

Madaster geht ins Detail, greift die produktspezifischen Daten der Hersteller auf – und zwar von jedem Produkt und von jedem Produktionsstandort. Nachholbedarf besteht in der Auswertung der Zirkularität, bezogen auf das einzelne Material. Wo kommen die Materialien her? Bestehen die Produkte aus bereits recyceltem Material? Sind die verwendeten Rohstoffe nachwachsend? Welche Halbwertszeit hat das Produkt? Muss es am Ende entsorgt werden oder können einzelne Materialien wiederverwendet werden? Der Fragenkatalog ist lang. Auf Produktdatenblättern werden diese Informationen bisher nur selten abgebildet.

 In Anbetracht der Taxonomie-Verordnung der Europäischen Union wird hier nachgebessert werden müssen, da ist sich Patrick Bergmann sicher: 

„Es werden Quoten und Grenzwerte definiert werden. Die Unternehmen werden nachweisen müssen, ob sie diese einhalten. Spätestens, wenn die Bank sagt, du kriegst kein Geld mehr von mir, wenn du die Informationen nicht liefern kannst, ist es für viele zu spät.“

Madaster denkt voraus und schafft den Daten-Mehrwert

Die Themen des DIGITALWERK PODCASTS mit Patrick und Michél im Überblick: 

• Warum Carbon Patrick Bergmann zum Datensammeln antrieb (00:06:54)

• Welche Rolle die Kennedys bei der Finanzierung von Madaster spielen (00:11:14)

• Warum Immobilien einen Gebäudepass brauchen (00:16:57)

• Warum nicht alle Informationen von gleicher Qualität sind (00:29:22)

• Wie die EU den Druck auf die Branche erhöht (00:41:22)

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