Roland Sitzberger (Partner Construction & Infrastructure bei Porsche Consulting) und Michél-Philipp Maruhn (Founder & Managing Director DIGITALWERK)
November 21, 2023
Die Welt der Baubranche mag auf den ersten Blick weit entfernt von glänzenden Sportwagen und Hightech-Entwicklungen erscheinen. Doch in der aktuellen Folge des DIGITALWERK-Podcasts tauchen wir tief in diese scheinbare Kluft ein, um zu verstehen, wie die digitale Transformation auch in der Baubranche Fuß fasst. Michél begrüßt Roland Sitzberger, Partner Construction & Infrastructure bei Porsche Consulting.
Die Reise beginnt mit einer Anekdote, einem zufälligen Ereignis, das Roland vor zwölf Jahren zu Porsche Consulting führte. In seiner vorherigen beruflichen Laufbahn hatte er die Aufgabe, das Megaprojekt Stuttgart 21 zu unterstützen. Dabei fiel der Fokus auf Lean Management, und hier kam Porsche Consulting ins Spiel. Roland erinnert sich an die Anfangsphase:
"Wenn das stimmt, was diese Automotive Jungs, diese Spinner hier schreiben, was ich nicht glaube, dass es stimmt, dann möchte ich das auch machen."
– Roland Sitzberger
Seitdem ist Roland Sitzberger ein fester Bestandteil des Porsche Consulting-Teams und bringt seine Erfahrung als Bauingenieur ein. Doch wie passt Porsche Consulting in die Welt der Baubranche? Michél-Philipp Maruhn spricht die offensichtliche Frage an: "Was hat denn das mit der Baubranche zu tun?" Roland erklärt, wie die Anforderungen der Baubranche von den Erfahrungen der Automobilindustrie lernen können. Er betont, dass es nicht nur darum geht, Kundenwünsche zu erfüllen, sondern auch darum, ihre Bedürfnisse zu verstehen und innovative Lösungen zu bieten.
Roland wirft einen kritischen Blick auf die herkömmlichen Abläufe in der Baubranche und fordert eine Veränderung der Wertschöpfungskette. Er spricht von einem notwendigen "neuen Ökosystem", in dem Kund:innen im Mittelpunkt stehen und alle Akteur:innen zum richtigen Zeitpunkt ihren Beitrag leisten können. Die Analogie zur Automobilindustrie wird deutlich:
"Wenn man so ein Fahrzeug entwickelt, dann legt man ja nicht los, sagt, ich habe jetzt das tollste Auto der Welt, sondern ich mache mir Gedanken, wer ist mein Kunde, wer wird es fahren, wer wird es zahlen?"
– Roland Sitzberger
Die Diskussion streift auch die Herausforderungen, die die Bauindustrie noch bewältigen muss, um effektiver zu werden und den Bedarf der Kund:innen besser zu erfüllen. In einer Zeit, in der die digitale Transformation alle Branchen durchdringt, zeigt diese Folge des DIGITALWERK-Podcasts, dass auch die Baubranche nicht nur baustellengeprägt, sondern zunehmend digital und zukunftsorientiert ist.
Für Roland Sitzberger, einen erfahrenen Bauingenieur und Partner bei Porsche Consulting, war das größte Learning aus der Automobilindustrie die intensive Prozessorientierung. Ursprünglich skeptisch gegenüber Prozessen, betrachtete er sie eher als bürokratische Formalitäten, die wenig Mehrwert bieten. Diese Einstellung änderte sich jedoch, als er die Effektivität und Effizienz der Prozessgestaltung in der Automobilindustrie erlebte.
Die Erkenntnis, dass Prozesse dazu dienen, sich auf wesentliche inhaltliche Themen zu konzentrieren, ermöglichte ihm einen Perspektivenwechsel. Statt sich über Zusammenarbeit zu unterhalten, konnte er sich auf Lösungen und Verbesserungen konzentrieren. Diese prozessorientierte Herangehensweise fand Roland besonders wertvoll, um Projekte im Unikat-Bereich, wie es im Bauwesen üblich ist, erfolgreich zu bearbeiten.
In der Bauindustrie hört man oft Bedenken darüber, dass Projekte zu einzigartig seien, um standardisierte Prozesse anzuwenden. Roland widerlegt dieses Vorurteil und betont, dass die Festlegung von Prozessen und ihre Anpassung möglich sind. Er sieht die Prozessorientierung als Schlüssel, um Abläufe zu verbessern und Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Phasen eines Projekts klar zu regeln.
Bei der Frage nach dem notwendigen Mindset-Shift in der Bauindustrie hebt Roland hervor, dass dies stark von der individuellen Rolle, Position und Erfahrung der Akteur:innen abhängt. Er betont, dass es wichtig ist, die richtigen Hebel zu finden und eine effektive Kommunikation zu gewährleisten. Der Fokus liegt darauf, keine Überlegenheit zu demonstrieren oder die Bauindustrie zu missionieren. Vielmehr sollen die Mitarbeiter:innen durch Beispiele, Benchmarkbesuche und kluge Arbeitsansätze dazu motiviert werden, effizienter und professioneller zu arbeiten.
Roland erkennt an, dass es immer Personen geben wird, die widerständig sind oder länger brauchen, um sich zu verändern. Dennoch ist er überzeugt, dass ein Großteil der Branche bereit ist, den Weg der Professionalisierung und Effizienzsteigerung einzuschlagen. Es geht nicht darum, härter zu arbeiten, sondern klüger und effektiver. Der entscheidende Faktor ist, die Mitarbeiter:innen richtig zu motivieren und den Prozess der Veränderung verständlich und zugänglich zu gestalten.
Insgesamt zeigt Roland, dass der Weg zur Prozessorientierung im Bauwesen nicht nur eine Möglichkeit ist, sondern eine Notwendigkeit, um die Branche in eine erfolgreiche Zukunft zu führen.
Im Folgenden erkunden Michél und Roland weitere Potenziale und Herausforderungen, die sich in der Schnittmenge von Bau und Automobilindustrie auftun.
Die Bauindustrie steht vor einer Vielzahl von Innovationen, die ihre Prozesse und Produkte revolutionieren könnten. Smart Homes und smarte Gebäude sind längst keine Zukunftsvision mehr. Dennoch stellt sich die Frage: Warum haben wir in Deutschland noch nicht den vollen Nutzen aus diesen Innovationen gezogen?
Roland Sitzberger verweist auf ein zentrales Problem: das Kompetenzgerangel. In vielen innovativen Projekten gibt es Schwierigkeiten, wer welche Entscheidung treffen darf. Die Frage der Verantwortlichkeiten und Entscheidungskompetenzen sorgt für Verzögerungen und verhindert oft eine reibungslose Umsetzung von Innovationen.
Die Diskussion dreht sich weiter in Richtung Automatisierung von Bauprozessen. Roland betont, dass die gesamte Errichtung von Gebäuden neu gedacht und gestaltet werden muss. Der Fokus liegt dabei auf maximaler Kundenorientierung und Zusammenarbeit im Team. Er sieht Potenzial für die Automatisierung von Prozessen in der Planungsphase, unterstützt durch künstliche Intelligenz und eine bessere Transparenz der Daten.
Die Idee des industriellen und seriellen Bauens wird ebenfalls angesprochen. Hier geht es nicht darum, sofort 100 % Automation zu erreichen, sondern klug und schrittweise vorzugehen. Roland zieht Parallelen zur Automobilindustrie und betont, dass Porsche Consulting nicht versucht, die Bauindustrie zu missionieren, sondern durch adaptive Ansätze und Anpassungen aus der Automobilwelt positive Impulse setzen möchte.
Ein interessanter Aspekt ist die Frage nach der Rolle des Architekten in der Zukunft. Roland erklärt, dass architektonische Kompetenz entscheidend ist, sowohl bei der Entwicklung von Bauteilen als auch bei der Konfiguration von Gebäuden. Er betont, dass die Architektur dazu dient, eine Identität zu schaffen. Ähnlich wie in der Automobilbranche, wo bestimmte Marken für spezifische Merkmale und Qualität stehen, könnte dies auch in der Bauindustrie umgesetzt werden.
Die Vielfalt von möglichen Kombinationen von Bauelementen bietet die Chance, einzigartige Produkte zu schaffen. Roland Sitzberger erläutert, dass Performanceparameter, wie Wärme, Schall und Brandschutz, wichtiger sind als einfache Maße wie Länge, Breite und Höhe.
Die Automatisierung stellt eine Antwort auf den Fachkräftemangel dar. Roland betont die Notwendigkeit, über die Automatisierung von Vorproduktionen nachzudenken. Wie kann eine Fabrik entworfen werden, die nicht nur kosteneffizient ist, sondern auch flexibel genug, um den individuellen Anforderungen gerecht zu werden? Hier setzt Porsche Consulting gemeinsam mit dem Partner ABB an.
In einem gemeinsamen Projekt wurde ein sogenannter Blueprint entwickelt. Dieser beinhaltet nicht nur das Layout einer Fabrik, sondern auch einen detaillierten Business-Case. Es wurde gezeigt, dass Automatisierung nicht nur für Großprojekte im Ausland relevant ist, sondern auch im deutschen Markt Anwendung finden kann. Der Blueprint ermöglicht es, verschiedene Szenarien durchzuspielen: Wie viele Module müssen produziert werden? Welche Art von Fabrik ist rentabel? Wie viele Schichten sind notwendig? Diese Fragen sind entscheidend, um die Vorteile der Automatisierung voll auszuschöpfen.
Ein zentrales Thema, das Roland anspricht, ist die Baubarkeit, Montierbarkeit und Produzierbarkeit von Bauprojekten. Es geht darum, die Baubranche so zu gestalten, dass Produkte möglichst effizient in der Fabrik hergestellt und auf der Baustelle montiert werden können. Hierbei ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Ingenieur:innen, Handwerker:innen und Robotikexpert:innen entscheidend. Die Automobilindustrie dient als Vorbild, wie verschiedene Kompetenzen zusammengeführt werden können, um innovative Lösungen zu schaffen.
Ein kritischer Punkt, der diskutiert wird, ist das Image des seriellen Bauens. Viele sehen darin einen Verlust von Handwerkskunst und Individualität. Roland betont jedoch, dass trotz Automatisierung weiterhin Raum für Kreativität und individuelle Lösungen bleibt. Die Herausforderung besteht darin, die Handwerkskunst in den Produktionsprozess zu integrieren und die Kompetenzen an die richtigen Stellen zu verlagern.
Abschließend sprechen Michél und Roland über die Vision eines offenen Ökosystems im Bauwesen. Die Idee ist, verschiedene Unternehmen und Systeme miteinander zu verbinden, um eine höhere Effizienz und Flexibilität zu erreichen. Die gemeinsame Gestaltung eines Ökosystems, bei dem die Kund:innen im Mittelpunkt stehen, soll Innovationen fördern und die Branche vorantreiben.
Die Diskussion beginnt mit einer kritischen Betrachtung der aktuellen Situation. Roland spricht über die möglichen Insolvenzen und Herausforderungen, denen sich die Bauunternehmen in den kommenden Jahren stellen müssen. Insbesondere Projektentwickler:innen könnten vor großen Schwierigkeiten stehen, wenn Bauvorhaben aufgrund von finanziellen Engpässen gestoppt oder pausiert werden.
Roland teilt seine Einschätzung, dass die Branche möglicherweise erst im Jahr 2027 wieder das Niveau von 2022 oder 2023 erreichen könnte. Er warnt davor, die Menschen zu verlieren, da dies zu einem Verlust von Wissen, Innovation und Fachkräften führen würde. Er betont, dass die Bauindustrie nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern auch einen Verlust von Arbeitskräften im Allgemeinen erleben könnte.
Trotz der aktuellen Herausforderungen sieht Roland jedoch auch Chancen. Er fordert die Branche dazu auf, die aktuelle Welle der Veränderung zu reiten und als Chance zu nutzen. Effizienteres Zusammenarbeiten, Kostenreduktion und eine stärkere Ausrichtung auf die Kund:innen nennt Roland als Schlüssel zur Überwindung der Hindernisse.
Ein zentrales Thema ist die Bedeutung von seriellem Bauen, Kundenzentrierung, Nachhaltigkeit und digitalen Services. Roland betont, dass diese Elemente nicht nur als Schlagworte dienen sollten, sondern konsequent in den Fokus gerückt werden müssen, um die Zukunftsfähigkeit der Branche sicherzustellen.
Michél und Roland diskutieren auch die Rolle des deutschen Mittelstands in diesem Transformationsprozess. Der Mittelstand wird als entscheidender Akteur betrachtet, der mit Geschwindigkeit, Veränderungsfähigkeit und Innovationskraft punkten kann. Trotz der aktuellen Schwierigkeiten wird betont, dass noch nichts verloren ist und der Bedarf an Bauprojekten nach wie vor vorhanden ist.
Das Gespräch endet mit dem Aufruf, die aktuellen Herausforderungen als Chance zu begreifen und gemeinsam als Branche die Mauer der Schwierigkeiten zu überwinden. Den Mittelstand sieht Roland als treibende Kraft, der mit Geschwindigkeit und Umsetzungsfähigkeit die Baubranche in die Zukunft führen kann.
"Wir können das, wir können Dinge umsetzen, wir müssen die Dinge anders denken und auch anders umsetzen. Und die Geschwindigkeit ist hier entscheidend."
– Roland Sitzberger
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