Was bringt das 100-Milliarden-Sondervermögen für Infrastruktur wirklich?

July 7, 2025
Autor/in:
Anna Berger

Wird das 100-Milliarden-Sondervermögen für Infrastruktur zur Investitionsoffensive oder verpufft es wirkungslos? Bauwirtschaft schlägt Alarm.

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Envato Elements

Die Bundesregierung hat Großes vor: Mit einem neuen Sondervermögen sollen in den kommenden Jahren ganze Branchen modernisiert und das Land klimafit gemacht werden. Doch hinter dem Versprechen von 100 Milliarden Euro für Länder und Kommunen steckt ein System, das bereits jetzt für Kritik sorgt – besonders aus der Bauwirtschaft. Denn statt einer echten Investitionsoffensive droht vielerorts nur ein geschicktes Verschieben alter Haushaltsmittel.

Was als historischer Aufbruch verkauft wird, könnte sich – so warnen Branchenvertreter – als bürokratisches Placebo entpuppen. Wir schauen genauer hin: Wofür ist das Geld gedacht? Was steckt hinter dem Begriff "Sondervermögen"? Und warum zweifeln gleich zwei große Bauverbände daran, dass die Mittel tatsächlich dort ankommen, wo sie dringend gebraucht werden?

Wofür sind die 100 Milliarden eigentlich gedacht?

Mit dem Sondervermögen „Infrastruktur und Klimaneutralität“ schafft die Bundesregierung einen neuen Investitionstopf außerhalb des regulären Haushalts. Insgesamt sollen über zwölf Jahre 500 Milliarden Euro bereitgestellt werden. Der Fokus: Investitionen in Klimaschutz, Digitalisierung, Verkehr, Bildung, Energie und Gesundheit.

Von diesen 500 Milliarden sind 100 Milliarden Euro speziell für Länder und Kommunen vorgesehen – zusätzlich zu weiteren 100 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfonds. Für das Jahr 2025 sind konkret 37,2 Milliarden Euro an Ausgaben eingeplant. Hinzu kommen Verpflichtungsermächtigungen über 84,8 Milliarden Euro für künftige Jahre.

Die größten Ausgabenposten 2025 im Überblick:

  • Verkehrsinfrastruktur: 11,7 Mrd. Euro – u. a. für Brückensanierungen und Schienenausbau

  • Digitalisierung und Breitband: 4,0 Mrd. Euro

  • Krankenhäuser: 1,5 Mrd. Euro für Transformationskosten

  • Energieinfrastruktur: 855 Mio. Euro, z. B. für LNG-Terminals

  • Forschung und Zukunftstechnologien: 472 Mio. Euro

  • Klimafreundlicher Wohnungsbau: 327 Mio. Euro

  • Bildung und Betreuung: Noch ohne konkrete Mittel hinterlegt

Ziel ist eine umfassende Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur und die Förderung von Maßnahmen zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045.

„Kein Verständnis“ – Bauindustrie kritisiert politische Trickserei

Doch der große Plan hat einen Haken: Die sogenannte „Zusätzlichkeit“ der Investitionen wurde aus dem Gesetz gestrichen. Das heißt, Länder müssen die Gelder aus dem Sondervermögen nicht zwingend „on top“ zu ihren Haushaltsmitteln verwenden, sondern können reguläre Ausgaben durch das neue Bundesgeld ersetzen. Genau das kritisiert der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB) scharf.

Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des HDB, warnt:

„Einige Bundesländer kürzen reguläre Investitionsetats und füllen die Lücke mit den Mitteln aus dem Sondervermögen auf. Den Bürgerinnen und Bürgern ist dieses Vorgehen nicht vermittelbar.“

Statt zusätzlicher Investitionen befürchtet die Bauindustrie also eine reine Umverteilung – mit dem Ergebnis, dass keine neuen Projekte entstehen, sondern alte Haushaltslöcher mit Bundesmitteln gestopft werden. Noch kritischer: Die Weitergabe der Mittel an die Kommunen ist nicht verpflichtend geregelt. Müller:

„So ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass die Kommunen nur einen Bruchteil der insgesamt 100 Milliarden Euro erhalten werden.“

Dabei sind es gerade die Kommunen, die mit einem Investitionsstau von über 215 Milliarden Euro besonders dringend auf frische Mittel angewiesen wären.

ZDB: „Konjunktur wird nicht angekurbelt – Investitionshemmnisse bleiben“

Auch der Zentralverband Deutsches Baugewerbe (ZDB) äußert sich deutlich kritisch zum Kabinettsentwurf. In einer eigenen Stellungnahme fordert der Verband eine Nachbesserung – und bemängelt, dass das Sondervermögen nicht an Bedingungen geknüpft sei, die echte Investitionen garantieren.

Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des ZDB, betont:

„Statt die Konjunktur im Bau anzukurbeln, besteht die Gefahr, dass die Investitionen aus dem Sondervermögen lediglich bestehende Haushaltslöcher stopfen. [...] Die notwendigen Investitionen in Infrastruktur, Schulen, Wohnungen oder Klimaanpassung finden dann nicht statt.“

Besonders kritisch sieht der ZDB, dass Investitionshemmnisse auf Landes- und kommunaler Ebene weiterbestehen, etwa lange Planungsverfahren, Personalmangel oder fehlende Baukapazitäten. Der Verband fordert deshalb eine strategische Begleitung der Mittelvergabe und klare Regeln zur Verwendung der Gelder.

Pakleppa weiter:

„Wenn es keine Vorgaben zur Zweckbindung gibt und die Zusätzlichkeit nicht gesichert ist, bleibt das Sondervermögen eine große Überschrift – ohne echte Wirkung.“

Die Kritik des ZDB deckt sich mit der Sorge vieler Akteure aus der Praxis: Ohne gezielte Steuerung könnten die Milliarden an der Realität vorbeigehen.

Forderungen der Bauwirtschaft: Klare Regeln und echte Investitionen

Beide großen Bauverbände – HDB und ZDB – fordern von der Bundesregierung ein klares Umdenken bei der Umsetzung des Sondervermögens. Die zentralen Punkte:

  1. Rückkehr zur Zusätzlichkeit: Bundesmittel sollen nicht bestehende Ausgaben ersetzen, sondern neue Investitionen ermöglichen.

  2. Verbindliche Weiterleitung an Kommunen: Länder müssen gesetzlich verpflichtet werden, Mittel an die kommunale Ebene weiterzureichen.

  3. Zielgerichtete Zweckbindung: Gelder sollen nur für konkrete Infrastrukturprojekte verwendet werden – keine Querfinanzierung von Haushaltslöchern.

  4. Abbau von Investitionshemmnissen: z. B. Planungsbeschleunigung, mehr Personal in Bauämtern, Förderung kommunaler Baukompetenz.

Der Tenor: Der politische Wille allein reicht nicht. Ohne klare Spielregeln und echte Kontrolle läuft das Sondervermögen ins Leere.

Politisches Großprojekt oder Nebelkerze?

Der Gesetzentwurf soll nun in der ersten Juliwoche in den Bundestag eingebracht werden. Viel Zeit bleibt nicht, um die drängendsten Kritikpunkte der Fachwelt aufzugreifen. Denn klar ist: Das Projekt „100 Milliarden Sondervermögen für Infrastruktur“ steht politisch unter Beobachtung – und die Erwartungen sind hoch.

Sollte sich bestätigen, dass die Mittel nicht zusätzlich und nicht zielgerichtet eingesetzt werden, droht das Vorhaben zu einer politischen Enttäuschung mit Ansage zu werden.

Großer Titel, schwache Wirkung – oder doch noch Kurswechsel möglich?

Das 100-Milliarden-Sondervermögen für Infrastruktur ist eine historische Chance, den Investitionsrückstand in Deutschland aufzuholen. Doch wie es derzeit ausgestaltet ist, fehlt es an Verbindlichkeit, Transparenz und strategischer Steuerung.

Beide führenden Bauverbände – Bauindustrie und Baugewerbe – fordern: Nachbessern – bevor die Mittel verpuffen.

Denn ohne klar geregelte Zusätzlichkeit, kommunale Beteiligung und Zweckbindung bleibt von der großen Ankündigung nur ein fragwürdiges Etikett. Und was als Zukunftsinvestition geplant war, droht zum nächsten Kapitel in der langen Geschichte deutscher Infrastrukturversäumnisse zu werden.

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