Das B&O Bau ForschungsQuartier in Bad Aibling, Bayern, ist ein Ort von historischer Bedeutung, der im Laufe der Jahre eine bemerkenswerte Transformation erlebt hat. Die Geschichte dieses Geländes reicht zurück bis in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg und zeigt eindrucksvoll, wie sich ein Ort im Laufe der Jahrzehnte verändern kann.
Die militärische Ära (1936-2003): Fliegerhorst, Kriegsgefangenenlager und Geheimdienstzentrum
1936 begann die Geschichte des Geländes als Fliegerhorst. Im Zweiten Weltkrieg diente es als Ausbildungsstätte für Sturzkampfbomber-Piloten, wurde von alliierten Streitkräften bombardiert und dadurch auch weitestgehend zerstört. Nach dem Krieg setzte man einiges daran, das Gelände wieder aufzubauen und dort das zeitweise größte Kriegsgefangenenlager Bayerns zu errichten. Es gibt Gerüchte, nach denen sich Günter Grass und Joseph Ratzinger dort als Gefangene begegnet sein sollen. Später wurde es dann Zufluchtsort für Flüchtlinge und Zwangsverschleppte, darunter viele Kinder.
Ab 1952 beherbergte es die US-Armee und ab 1972 die NSA, wobei das Gelände das geheimdienstliche Zentrumbeherbergte. Interessanterweise wurden auf dem Gelände Radarkuppeln (auch: Radome) mit dem Echelon-Abhörsystem betrieben, die auch heute noch beim deutschen Auslandsgeheimdienst BND im Einsatz sind. 2003 schloss die US-Kaserne "Bad Aibling Station", und die militärische Ära des Geländes endete. Ein neuer Plan für das Gelände musste her.
Ein neues Zeitalter beginnt: Der Grundstein für das B&O Bau ForschungsQuartier in Bad Aibling wird gelegt
2006 übernahm die B&O Gruppe das, vor allem mit alten Kasernengebäuden und Mannschaftsunterkünften bebaute Grundstück von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA). B&O-Gründungsgesellschafter Dr. Ernst Böhmerkannte schon damals das Potenzial des Areals und hatte große Pläne für das ehemalige Militärgelände.
Selbstverständlich hatte die Stadt Bad Aibling bei den Plänen zur Umgestaltung des Parks ebenfalls einige Gedanken und Ziele. Hitzig wurden verschiedene Ideen zur Nutzung des 66 Hektar großen Areals, darunter die Schaffung eines "Wohlfühlparks", eines "Technologieparks", eines "Landschaftsparks" und eines "Sportparks" diskutiert. B&O stellte schließlich in Frage, ob das Gelände einer rein touristischen Nutzung unterliegen müsste oder ob auch eine gemischte Nutzung mit Wohn- und Gewerbebauten möglich sei.
Im Jahr 2008 erfolgte die finale Änderung des Bebauungsplans, der die Grundlage für die heutige Nutzung legte. Im B&O Bau ForschungsQuartier in Bad Aibling wurde in den vergangenen Jahren ein einzigartiges Innovationslabor für nachhaltige Bebauung in die Tat umgesetzt. Welche Gebäude und Projekte sich im B&O Bau ForschungsQuartier wiederfinden, stellen wir euch in 12 Artikeln in diesem Jahr vor. Nach und nach verlinken wir die weiterführenden Artikel auch im untenstehenden Text, sodass ihr mehr zu den einzelnen Projekten, Bauarten und dem Gesamtkonzept des ehemaligen Parkgeländes erfahren könnt.
Warum braucht es ein neues Konzept für das B&O Bau ForschungsQuartier?
Mit dem Erwerb des alten Kasernengeländes stand für Dr. Ernst Böhm bereits fest: Das ForschungsQuartier sollte komplett neu gedacht und entwickelt werden. Er hatte das Ziel, ein urbanes Quartier auf dem Land zu etablieren, indem sowohl gearbeitet, gewohnt und gelebt werden kann – im städtebaulichen Fachjargon spricht man von funktionaler Mischung. Er verfolgte damit einen Ansatz, der heute einer nachhaltigen und modernen Stadtplanung entspricht.
„Die Charta von Athen prägte lange unser Verständnis von Leben: Hier wohnen, 20 Kilometer weit weg arbeiten.“
- Ernst Böhm
Das eine solche Art der Stadtplanung aber zu ausgestorbenen Innenstädten von Kleinstädten führt, liegt auf der Hand und können wir aktuell an vielerlei Orten beobachten.
„Heute versucht man eher, die Dinge zusammenzubringen. Arbeit und Kinder zum Beispiel. Das haben wir in Bad Aibling versucht – und geschafft.“
Das Gelände sollte nach seiner Vorstellung auch dazu genutzt werden, neue und alte Bauarten zu erforschen –eine Spielwiese für alle Beteiligten – aber immer unter dem Aspekt des nachhaltigen Bauens.
Das B&O Bau ForschungsQuartier entwickelt sich zum größten Forschungsgelände für nachhaltiges Bauen in Deutschland
So wurden über die vergangenen 20 Jahre unterschiedliche Gebäude auf dem Gelände umgesetzt. Im Jahr 2008 eröffnete das B&O Parkhotel und bis 2018 wurden mehrere Bestandsbauten –alles alte Kasernenobjekte - sukzessive in das Projekt integriert. Heute umfasst das Hotel rund 100 Zimmer, ein Restaurant, einen Konferenz- und einen Wellnessbereich. 2011 folgte dann der Bau des, zum Errichtungszeitpunkt höchsten (knapp 25 Meter) Holzhochhauses Deutschlands, das „Holz 8“. In dem achtgeschossigen Hybridhaus befinden sich sechs Wohneinheiten, darunter auch barrierefreie, sowie Büroflächen. Auch die B&O Bau GmbH findet in den Räumlichkeiten ihr Zuhause.
Nullenergiestadt, City of Wood, Einfach Bauen - auf dem Gelände wird probiert und geforscht
Ab 2010 begann die Umsetzung der Idee einer Nullenergiestadt. Weitere Bestandsgebäude wurden saniert, um Energieverbräuche zu messen. Dieses Projekt wurde sogar vom Innenministeriumbegleitet. Die Planung einer Nullenergiestadt warf unweigerlich die Frage nacheiner effizienten und nachhaltigen Wärmeversorgung im Quartier auf, weshalb2010 mit dem Bau einer Hackschnitzel Verbrennungsanlage – auch Heizikone genannt - begonnen wurde. Die Anlage versorgt das gesamte nördliche Areal des B&O Bau ForschungsQuartiers mit nachhaltiger Energie.
B&O rief offiziell die "City of Wood" ins Leben, und es begann die Errichtung von innovativen Holzbauten wie dem „H4“ einem viergeschossigen Holzhybridbau mit 6 PKW-Stellplätzen im aufgeständerten Erdgeschoß. Die Transformation des Geländes setzte sich fort und entwickelte sich weiter zu einem der größten Versuchsgelände für den nachhaltigen Holzbau in Deutschland. Die im B&O Bau ForschungsQuartier in Bad Aibling errichteten Gebäude sollen als Leuchtturmprojektedienen und zum Nachmachen anspornen.
Zentrales Element dieses Vorhaben sind auch die errichteten Forschungshäuser "Einfach Bauen" von Florian Nagler Architekten.
Diese Häuser orientieren sich an einer einfachen Bauweise und reduzieren den Bedarf an Gebäudetechnik und künstlicher Klimatisierung. Durch die Einfachheit in Materialien und Konstruktion wird zudem das Recyclingpotenzial der Gebäude enorm erhöht.
Wohnungsbau und Parkdeckbau in Holzbauweise - Der Ausbau schreitet weiter voran
2021 folgte der Ausbau der “City of Wood" und wurde um das WOGENO-Haus, einer Wohnungsanlage, als Weiterentwicklung der “Einfach Bauen” Häuser von Florian Nagler Architekten erweitert. Das Gebäude ist der erste kommerzielle Bau, der die erforschte Massivholztechnologie ohne zusätzliche Dämmmaterialien nutzt. Das WOGENO-Haus bietet eine kostengünstige Lösung für den Wohnungsbau, die auf hoher Flächeneffizienz, Architektur und Prinzipien der Kreislaufwirtschaft basiert.
Zusätzlich begann der Bau des Bosch Wohnen-Gebäudes, einem vierstöckigen Holzhybrid Wohnhaus mit Fertigbädern, innenliegenden Loggien und begrüntem Flachdach. Welche Gedanken dem Gebäude zudem zu Grunde liegen, erfahrt ihr in einem der zukünftigen Artikel.
2021 wurde dann ein weiteres Tabuthema in Angriff genommen und erfolgreich umgesetzt: ein Parkdeck aus Holz, entworfen von HK Hermann Kaufmann Architekten. Das Gebäude sieht nicht nur schön aus, sondern ist nachhaltig und fügt sich zurückhaltend in das B&O Bau ForschungsQuartier ein – Eigenschaften, die die wenigsten Parkhäuser aufweisen können. Hier gibts dazu mehr Infos!
Energetische Sanierung und Messung von Verbrauchsdaten machen das B&O Bau ForschungsQuartier zu einem einzigartigen Versuchslabor
Mit dem Plusenergiehaus (H5) wurde ein sehr technologischer Ansatzverfolgt, um Messungen durchzuführen und Vergleichsdaten zu generieren.
Auch im Bereich der Sanierung ist B&O kein Thema zu heiß, keine Bautechnik zu unkonventionell. So begannen sie bereits 2008 damit, erste Schritte in Richtung serielle Sanierung zu gehen. Bei Bestandsgebäude im B&O Bau ForschungsQuartier wurden vorproduzierte Glaselemente (inkl. Fenster und Balkone) als vorgestellte Außenwandfassadeinstalliert. Die Luft zwischen Glaswand und alter Fassade wird durch die einfallende Sonneneinstrahlung erhitzt und in das Gebäude abgegeben. Dadurch können solare Gewinne erzielt und der Heizbedarf des Gebäudes insgesamt gesenkt werden. Lüftungsschlitze an den Fenstern geben die abgekühlte Luft wieder nachdraußen ab. Dadurch entstehen eine natürliche Erwärmung und Belüftung der Innenräume.
Weiter folgten dann Sanierungen nach dem Energiesprong-Prinzip. Um mehr über dieses innovative Vorgehen der seriellen Sanierung zu erfahren, schaut immer wieder in unserer Artikelserie vorbei, denn auch dieses erläutern wir bald etwas näher.
Modular und seriell bauen und sanieren als Schlüsselelemente für effiziente Bauabwicklung in Bad Aibling
Auch im Bereich der modularen Bauweise wird im B&O Bau ForschungsQuartier experimentiert. So entstand ein Schülerwohnheim innerhalb kürzester Zeit aus rund 28 Modulen aus Holz. Auch der Bau eines achtgeschossiges Hybridhauses aus Holz und Beton im B&O Bau ForschungsQuartier zeigt, dass die Kombination innovativer Bauweisen und Materialien dazu führen kann, Gebäude schneller und effizienter zu errichten.
Das erwartet uns noch im B&O Bau ForschungsQuartier
Das B&O Bau ForschungsQuartier in Bad Aibling hat eine reiche und bewegte Geschichte, die von militärischer Nutzung, Kriegsgefangenschaft und Flüchtlingsunterbringung bis hin zu seiner heutigen Rolle als ein Ort der Innovation und Nachhaltigkeit reicht. Die erfolgreiche Umwandlung des Geländes in eine Nullenergiestadt und die Nutzung von Holzbauweise unterstreichen die Bedeutung von Nachhaltigkeit und modernem Städtebau in der heutigen Zeit.
Fun Fact: Im Südendes Geländes stehen immer noch die alten Radarkuppeln aus NSA-Zeiten. Einmal im Jahr findet hier das Echolon Festival, Deutschlands größtes elektronisches Festival mit über 100 Internationalen und nationalen Künstlern, statt.
Welche Projekte noch geplant sind und wie sich traditionelle Bauweisen mit Lehm oder der Einsatz von Recycling-Material in der Zukunft des B&O Bau ForschungsQuartiers wiederfinden, das erfahrt ihr im letzten Artikel dieser Serie.
Deshalb schaut unbedingt jeden ersten Mittwoch im Monat hier bei uns vorbei und erfahrt mehr zu den einzelnen Gebäudetypen und Bauweisen!
Wir freuen uns schon darauf, euch mehr über Deutschlands größtes Baulabor zu nachhaltigem Bauen und Leben zu berichten.